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Sonnenaufgang über dem Weizenfeld

Gesundheit

 
Yoga bei Erkrankungen der Lunge

Yoga wird in den westlichen Industrieländern seit einigen Jahren immer beliebter.
Auf Bildern, die Yogaübungen darstellen, sind meistens junge, schlanke und fitte Menschen zu sehen, die sich in akrobatisch anmutende Körperhaltungen begeben.

Warum ist Yoga aber auch und gerade für Menschen geeignet, die in ihrer körperlichen Kapazität eingeschränkt sind?

Im Ursprungsland Indien, wird Yoga schon sehr lange auch als Therapieform genutzt.
Im letzten und in diesem Jahrhundert ist vor allem der so genannte Iyengar Yoga damit sehr erfolgreich. Da B.K.S. Iyengar, der diesen Stil begründete, großen Wert auf die exakte Ausrichtung des Körpers legte, entwickelte er Techniken und nutzte Hilfsmittel, um auch weniger beweglichen Personen die Ausführung der Yogaübungen zu ermöglichen. Ebenfalls Teil des Iyengar Yoga sind Pranayama Übungen, das sind Atemtechniken mit deren Hilfe die Lunge trainiert wird um eine Erhöhung des Atemvolumens zu erzielen.
Das Sanskrit Wort Prana kann mit Atem oder mit Energie übersetzt werden. Ayama bedeutet kontrollieren oder beherrschen. Pranayama heisst also den Atem oder die (Lebens)-Energie kontrollieren.

Bei Menschen die von einer Lungenerkrankung betroffen sind, steht der Atem sehr im Zentrum. Normalerweise atmen wir relativ unbewusst unser ganzes Leben und müssen uns darum nicht groß bemühen. Ist aber die Lunge von einer Erkrankung betroffen, wird das Atmen zunehmend anstrengender. Und mit der Luftnot treten Ängste, bis hin zu Panikattacken auf, die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt ab und damit einher geht oft ein Rückzug aus dem sozialen Leben. In der Literatur wird dies als eine Abwärtsspirale beschrieben, die sich im schlimmsten Fall bis zur Depression manifestieren kann.

Ich bin von Beruf Krankenpflegerin und Yogalehrerin. Im klinischen Alltag habe ich sehr viel mit Menschen zu tun, die von schwerwiegenden Lungenerkrankungen betroffen sind.
Es ist mir daher ein Anliegen, die Möglichkeiten des Yoga auch für diese Personengruppe zugänglich zu machen.

In Zusammenarbeit mit der Thoraxklinik-Universitätsklinikum Heidelberg und dem Zentrum für interstitielle und seltene Lungenerkrankungen, habe ich 2019 eine kleine Pilotstudie durchgeführt, bei der die Wirksamkeit von Yoga bei Menschen mit einer idiopathischen Lungenfibrose (ILD) untersucht wurde. Diese Studie hat gezeigt, dass die Teilnahme an einem 12-wöchigen Yogakurs die gesundheitsbezogene Lebensqualität signifikant verbessern kann. Darüber hinaus zeigten Interviews mit den Teilnehmern eine Verbesserung der subjektiven Luftnot.

Ein Teilnehmer unserer Yogastudie äußerte z.B.: „ich habe nun durch einige Übungen mentale Hilfsmittel, wenn ich in der Atemnot Panikattacken bekomme.“

 
Die Idee

Am Anfang meiner Überlegungen stand der Gedanke, dass der Atem bei genauerer Betrachtung nicht aus der Lunge kommt, sondern vielmehr aus dem umgebenden Luftraum. Mit dem Element der Luft stehen Weite, Offenheit und Freiheit in Verbindung. Diese Qualitäten des Atems möchte ich fördern.
Ich stütze mich dabei auf den von Heinz Grill begründeten Neuen Yogawillen.

Heinz Grill prägte den Begriff des freien Atems. Die Idee dabei ist, dass ausgehend von einer regsamen Bewusstseinsaktivität, der Atem seine Anhaftung an den Körper und die Emotionen verliert und in seine natürliche Weite und Leichtigkeit findet.
Im Gegensatz zu den Pranayama Übungen, bei denen sehr gezielt der Atemstrom kontrolliert und geführt wird, erfolgt in dieser Übungsweise der Einfluss auf den Atem indirekt durch Bewegungen und den damit verbundenen Vorstellungsinhalten. Die Bewegung hat in der Atemschulung eine große Bedeutung, da sie einerseits die verschiedenen Qualitäten des Atems in Rhythmik, Tiefe und Intensität fördert und andererseits den muskulären Atemapparat unterstützt und trainiert.

Mit der Bewegung ist ein Vorstellungsinhalt verbunden

 

 

Bewegungen jeglicher Art, können sehr stark willentlich oder auf eine freierer und leichtere Weise ausgeführt werden. Die Art wie eine Bewegung erfolgt, hat rückwirkend immer einen Einfluss auf die Atemquali- tät. Eine auf sehr willentliche Art praktizierte Bewegung wird tendenziell zu einer Enge und Fixierung des Atems beitragen. Während eine leichte und freie Bewegung auch den Atem freier lässt. Wie aber wird eine Bewegung leicht und frei?

Den Yogaübungen, āsanas genannt, liegt immer eine Idee oder eine bestimmte Vorstellung zugrunde.
So wird z.B. in der Übung der Waage, der Gedanke an den Anfang gestellt, dass der ganze Körper in eine horizontal orientierte Längsausdehnung geführt wird.
Die Dynamik setzt im mittleren Rücken an und verströmt sich von dort ausgehend in zwei Richtungen. Die Schultern und der Nacken bleiben leicht und blockieren die Längsausdehnung somit nicht. Das Standbein steht stabil, das hintere Bein wird aktiv gestreckt, bleibt dabei aber leicht.

Diese Beschreibung schafft noch vor der Ausführung eine erste Vorstellung über die Übung. Während des Praktizierens orientiert sich der Übende an diesen Gedanken, bewahrt sie im Bewusstsein und formt anhand der Vorstellung die Übung gemäß seiner Möglichkeiten aus.
Er ist somit nicht nur mit dem Körper aktiv, sondern vielmehr mit dem Bewusstsein in einer formenden, wahrnehmenden und beobachtenden Tätigkeit.

Damit sind die Übungen auch nicht von einer körperlichen Leistungsfähigkeit abhängig. Die Möglichkeit zur Bewusstseinsaktivität, kann von der Leistungsfähigkeit des Körpers unabhängig betrachtet werden.
Die Formung aus einem Gedanken oder aus einer Vorstellung heraus, führt oftmals sogar zu einer Steigerung der körperlichen Möglichkeit.

Denn der Körper wird zwar aktiv ergriffen, aber weniger willentlich nur aus sich heraus. Vielmehr treten körperfrei wirkenden Kräfte wie von Außen an den Körper heran.

Die leichte Bewegung als Unterstützung bei chronischen Lungenerkrankungen

 

 

Es gibt unterschiedliche chronische Lungenerkrankungen. Ihnen allen sind aber einige Wesensmerkmale gemeinsam. Die wichtigste organische Funktion der Lunge ist die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlendioxid. Dieser Gasaustausch wird bei chronischen Lungenerkrankungen durch den Verlust von funktionsfähigem Lungengewebe zunehmend gestört. Die Elastizität und Beweglichkeit der Lunge vermindert sich, die Lunge wird eng und steif. Sie verliert ihre Fähigkeit den Atem nach innen in den Körper aufzunehmen und nach aussen wieder abzugeben. Sie verschliesst sich sozusagen gegenüber dem Luftelement und dem lebendigen Atemstrom.

Der Atem findet sich in einer zunehmenden Bindung und Fixierung an den Körper und auch an das Bewusstsein, da durch die empfundene Luftnot der Atem viel stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit tritt, wie dies im gesunden Zustand der Fall wäre.

Bildhaft könnte man davon sprechen, dass bei der chronischen Lungenerkrankung der Atem irdischer und schwerer wird und seinen luftigen und weiten Charakter einbüsst.
Das Gegenbild dazu ist die leichte und lichte Bewegung, die die Gesetze der Schwerkraft für Momente zu überwinden scheint.

Die Leichtigkeit in einer Bewegung kann nicht aus willentlich angesetzter Motivation entstehen. Fixierungen und Verhärtungen der Muskulatur und auch des Ausdrucks in der Bewegung wären die Folge.


In einer frei angesetzten Bewegung führt der Übende das Bewusstsein zum Körper. Er erlebt den Körper dabei wie ein Material, das formbar und gestaltbar ist. Nicht das Material gibt die Vorgabe, sondern die an den Anfang gestellte Idee. Wie ein Töpfer, der den Ton nach seinen Ideen formt oder der Musiker, der dem Instrument die gewünschten Töne entlockt. Nicht das Instrument bestimmt die Qualität des Musikers. Der Musiker selbst ist es, der über das Üben seine Fähigkeiten ausprägt und der Musik Ausdruck und Seele verleiht. In dem die Aufmerksamkeit auf bestimmte Vorstellungsinhalte gelenkt wird, die in einer Beziehung zu der Bewegung stehen, befreit sich das Bewusstsein und damit auch der Atem aus den Bindungen und Anhaftungen an den Körper. Die Bewegungen erhalten so einen sehr schönen, ästhetischen, lebendigen und inspirierenden Ausdruck.

Beispiel für eine Übung, die unkompliziert zu Hause ausgeführt werden kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine einfache Linie, die bogenförmig von unten nach oben aufsteigt, wird als gedankliche Vorstellung kreiert.
Erst nachdem die Vorstellung lebendig erschaffen wurde, erfolgt die körperliche Ausführung.

Während der Ausführung bleibt die Vorstellung aktiv erhalten.

Der Rücken streckt sich dabei, die Flanken werden gedehnt und geöffnet, der Atem kann so vermehrt in den Flankenbereich fließen.

Der Fokus liegt aber weniger auf der körperlichen Bewegung des Rückens als vielmehr auf der Wahrnehmung und Gestaltung der Linie. Der Körper folgt der gedanklichen Vorstellung.

Weite und Sensibilität des Atems werden durch diese Übung angesprochen.

 
 
 
Gesundheitliche Wirkungen von Yoga

 

 

Durch die vielfältigen und abwechslungsreichen Bewegungen im Yoga, wird der Körper gekräftigt, gedehnt und in all seinen Teilbereichen bewegt. Eine aufrechte Haltung wird gefördert, das tut der Wirbelsäule gut und die Lunge erhält in einem aufgerichteten Körper mehr Raum.
Eine oftmals verspannte Nacken und Schulterregion wird mit der Zeit entspannter und gelöster.

Die Durchblutung der Organe wird angeregt und der venöse Rückfluss gefördert. Dadurch finden Stauungen in den Beinen oftmals eine Entlastung.

Erwähnenswert ist auch die Wirkungsweise auf das Immunsystem.

Gerade bei chronischen Lungenerkrankungen, wie COPD, Asthma und ILD, sind wiederkehrende pulmonale Infekte negative Faktoren im Krankheitsverlauf. Diese Infekte zu vermeiden ist daher sehr wichtig. Bewegung an der frischen Luft, eine gesunde Lebensweise und eine ausgewogene Ernährung mit möglichst unbelasteten und frischen Lebensmitteln spielen dabei eine wichtige Rolle.

Allgemein wird das Immunsystem als Abwehrsystem bezeichnet, da es fremde Keime bekämpft und abwehrt. Man könnte das Immunsystem aber auch als Wahrnehmungssystem bezeichnen. Denn um zu erkennen, was körperfremd oder körpereigen ist und welche körperfremden Substanzen schädlich sind oder brauchbar, muss das Immunsystem dies wahrnehmen und unterscheiden können.

Dadurch findet sich eine Analogie vom Immunsystem zum Bewusstsein.
Das Bewusstsein ist unser Instrument zu einer differenzierten Sinneswahrnehmung. Damit vergleichbar muss auf einer körperlichen Ebene das Immunsystem ebenfalls erkennen, differenzieren und unterscheiden.

Die Arbeit des Immunsystems erfolgt natürlich im Unbewussten. Es wäre wohl nicht vorstellbar, dass der Mensch sich jeden Keim erst einmal genau anschauen müsste, um dann bewusst zu entscheiden, wie dieser zu eliminieren ist.
Man könnte sich die bewusste, offene und wache Wahrnehmung, die in den Yogaübungen angeregt wird, aber vielleicht als eine Art Vorbildfunktion für das Immunsystem denken. Wenn der Mensch im Bewusstsein seine Wahrnehmungsfähigkeit ausbildet und stärkt, hat dies auch eine stärkende Wirkung auf das weisheitsvoll im Unbewussten arbeitende Immunsystem.

In der Yoga Philosophie lebt die Vorstellung, dass der Mensch nicht nur aus einem stofflichen Körper besteht, sondern vielmehr noch eine seelische und geistige Existenz bildet.
Das Bewusstsein wäre der seelischen Existenz zuzuordnen. Unabhängig von der körperlichen Verfassung kann der Mensch seine Bewusstseinskräfte gebrauchen lernen. Und damit hat er immer die Möglichkeit auf seine momentane Situation selbst einen Einfluss auszuüben. Diese Erfahrung kann Hoffnung und Zuversicht geben. Der Einzelne sieht sich weniger als Opfer der Umstände, sondern als ein Mensch der immer Möglichkeiten hat und konkrete Werkzeuge besitzt, um z.B. in der akuten Situation der Luftnot handlungskompetent zu bleiben.

Der Artikel ist erschienen in der Fachzeitschrift " der Heilpraktiker" Ausgabe Januar 2022

www.mgo-fachverlage.de

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