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​āsanas

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Der Drehsitz

ardha matsyendrāsana

In der Endstellung kommt

die aufgerichtete Drehung

 

wie auch eine freie und wache Stirn zum Ausdruck

 
Der Drehsitz
 ardha matsyendrāsana
 

Grundempfindung & Sinngehalt 

 

Der Drehsitz beschreibt eine aufgerichtete Drehung in deren Endstellung der Körper ganz zur Ruhe kommt, während das Bewusstsein wach und wahrnehmend bleibt.

Die Wirbelsäule ist um die eigene Achse gedreht, die Beine in einer speziellen Sitzposition zentrieren sich zum unteren Rücken, was die Aufrichtebewegung der Wirbelsäule unterstützt. 

Der Kopf ist gedreht, der Blick geht über die Schulter. Schrittweise wird der Körper in die klare Form der Stellung hineingeführt.

In der Endstellung scheint der Kopf wie erhaben mit freier Stirn, über der gedrehten Form des Körpers zu thronen. 

 

Die wache, konzentrierte und doch ruhige Übersicht des Hauptes drückt sich als Grundempfindung der Stellung aus.

Der Anfänger, für den die Stellung noch recht neu ist und der zunächst mit dem Erlernen der körperlichen Position beschäftigt ist, wird die ruhige und wache Übersicht des Hauptes zunächst eher unbewusst empfinden. Mit der Zeit dringt sie ins Bewusstsein vor, der fortgeschrittene Übende erlebt in der Endstellung der āsana einen sehr lichten, weiten und offenen Stirnbereich der frei und wie losgelöst die Übersicht über den gedrehten Körper bewahrt. 

Je länger die Ruhephase in wacher geordneter Übersicht gehalten wird, desto stärker wird diese Grundempfindung erlebt. 

 

Den Sinngehalt einer Yogaāsana kann man sicherlich verschiedentlich benennen. Ein wesentlicher Aspekt des Drehsitzes findet sich in der Führungsinstanz, die ein bewusst gewählter und an den Anfang gestellter Gedanke übernehmen kann und der in der Gestaltung einer Form schliesslich seinen Ausdruck findet. 

 

Auf die Übungspraxis bezogen heisst dies, man stellt bspw. den Grundgedanken der aufgerichteten Drehung mit freiem Haupte an den Anfang der Übung. Diese Vorstellung wird während der Ausführung bewahrt und die Bewegung sorgfältig und wohlabgestimmt ausgehend von diesem Gedanken gestaltet.  

In der Endstellung wird dies dann zum Ausdruck kommen. Eine aufgerichtete Drehung mit freiem Kopfbereich wird sichtbar werden. 

Will man aber irgendwie in die Endstellung hineinkommen, wird sich diese klare Gestaltung nicht ausdrücken. Es wird dann ein anderes Bild entstehen. Der Grundgedanke der aufgerichteten Drehung mit freiem Haupt wird nicht sichtbar werden, da es ihn dann nicht gibt.

Der Wert der Yogaübung

Jede Yogaāsana hat ihren spezifischen Sinngehalt und ihre ihr eigene Grundempfindung. 

Teilweise ähneln diese sich zwar, sind aber doch voneinander zu unterscheiden. 

Aus diesem der āsana innewohnendem Sinn, kann der Wert der Stellung abgeleitet werden.

 

Der Wert der Stellung lässt sich auf verschiedenen Ebenen beschreiben. Bspw. auf der physiologischen Ebene und dem Wert den die Stellung für die Gesundheit haben kann. 

Des Weiteren auf der Empfindungsebene, die mit einer Bereicherung im seelischen Erleben zusammenhängt und schliesslich auf der lebenspraktischen Ebene. Wie lässt sich die Erfahrung die mit der Yogaāsana gemacht wird, auf das Leben übertragen und gewinnt damit einen Wert für das eigenen Leben, aber auch für die Umgebung und die Mitmenschen?

Kommt der einzelne Übende soweit, dass die Auseinandersetzung mit der āsana das Leben verwandelt und eine Wirkung bis hin zu den Mitmenschen entfaltet, ist der Wirkungsradius bereits sehr groß. 

Im Sinne eines Kulturimpulses der von Yoga ausgehen kann, ist dies sicher als ein erstrebenswertes, schönes und edles Ziel zu sehen. 

 
Physiologische Wirkung 

Eine Vielzahl an Muskeln sind an der Bewegung der Extension (Aufrichten/Strecken)

und der Rotation (Drehung) im Drehsitz beteiligt. 

Die autochthone Rückenmuskulatur ist eine tiefliegenden Muskelgruppe die direkt an der Wirbelsäule auf ihrer gesamten Länge lokalisiert ist. Dieser Muskelgruppe kommt eine große Bedeutung zu, da sie vor allem der Stabilisierung und damit auch dem Schutz der Wirbelsäule dient. Sie wirken bei allen Bewegungen des Rückens mit. 

Die darüber liegenden großen Muskeln des Rumpfes, wie der grosse Rückenmuskel (Muskulus latissimus dorsi) und der Trapezmuskel (Muskulus trapezius) sind ebenfalls an der Bewegung beteiligt. 

Des weiteren spielt die Zwischenrippenmuskulatur (Musculi intercostaleseine) eine Rolle. Diese wird auch zur Atemmuskulatur gezählt. Der Brustkorb wird mit ihrer Intervention geöffnet was zu mehr Raum in der Lunge und damit zu einer vertieften Einatmung führt. 

 

Durch die bewusste Aktivierung des Rückens werden alle genannten Muskeln sowohl gedehnt als auch gestärkt.

Die Wirbelkörper und Bandscheiben werden damit entlastet, da durch die nach oben strebende Bewegung weniger Druckbelastung auf den Bandscheiben vorliegt.

Aus dem gleichen Grund werden auch die Bauchorgane entlastet und als Folge besser durchblutet. Die verstärkte Durchblutung regt die Stoffwechselprozesse der jeweiligen Organe an. So wird die Ausscheidungstätigkeit der Nieren bspw. angeregt.

 

Je gelöster die Bewegung trotz der getätigten Anspannung ausgeführt werden kann, desto freier ist das Bewegungsspiel der Muskeln möglich. 

Für die gesundheitliche Wirkung erscheint gerade die gelöste freie Bewegung wesentlich zu sein. 

Der Übende fixiert sich nicht auf die funktionale, anatomische Ausrichtung, sondern er erlebt sich selbst innerhalb der Gesamtheit und Empfindung der Bewegung.

 

Ausgehend von der Grundempfindung und dem Sinngehalt der Stellung, kann die gesundheitliche Wirkung des Drehsitzes mit der Führungsinstanz des Hauptes bis hin zu einem sichtbaren Ausdruck in der Form, in Verbindung gebracht werden. 

 

Eine Führungsinstanz des menschlichen Körpers stellt das Gehirn dar. Es ist in einem nahem Zusammenhang mit dem Nerven-Sinnessystem, empfängt und verarbeitet Sinneseindrücke und Informationen aus dem Körper.

Die Hauptsinnesorgane finden sich im Kopfbereich. Auge, Ohr, Geruch, Geschmack, Gleichgewicht.

Die Wahrnehmung der Tastempfindungen, von Kälte und Wärme werden ebenfalls an das Gehirn übermittelt.

Blutdruck, pH Wert, Sauerstoffgehalt, um nur wenige zu nennen, werden rückgemeldet an die zentrale Schaltstelle. 

Ausgehend dieser Botschaften reguliert der Körper seine Funktionen bis in die kleinsten Einheiten der Organe und des Stoffwechselsystems hinein. Die Schaltzentrale muss immer die Übersicht behalten und über die Vorgänge des Körpers Bescheid wissen um die richtigen Regulationen und Impulse auf den Weg zu bringen. 

 

In dieser Funktionsweise drückt sich eine Ordnung aus. Nicht die schnellen Impulse die aus den Sinneseindrücken direkt gewonnen werden, bestimmen die Handlung. Das Gehirn empfängt die Impulse, ordnet diese zunächst ein und setzt erst dann die erforderlichen Reaktionen in Gang. 

 

Im Drehsitz finden wir dieses Bild wieder. Das Erleben einer Führung, einer ruhigen und wachen Übersicht, die nicht in die Spannungen des Körpers verwickelt wird, wirkt ordnend auf die Funktionssysteme des Körpers. Überschiessende Reaktionen, wie sie manchmal im Immunsystem, im Stoffwechsel oder im Hormonsystem auftreten, können minimiert werden. Ein reizbares, übersensibles Nervensystem wird beruhigt. 

 

Ebenfalls günstig wirkt sich der Drehsitz auf psychische Erkrankungen aus. Besonders in der Depression, aber auch in so mancher Orientierungslosigkeit die heute viele Menschen haben, finden wir das Bild einer mangelnden Gestaltung des eigenen Lebens und einer daraus resultierenden Hoffnungslosigkeit ohne Perspektiven.

In dem die Erfahrung im Praktizieren des Drehsitzes real gemacht werden kann, das ausgehend von einem Gedanken eine Führung und Gestaltung möglich ist, schöpft der Mensch wieder den Mut und die Kraft diese Gestaltung auch in sein Leben zu tragen. Fehlende Perspektiven und die Schwere der Depression weichen den Möglichkeiten zur Formung und Führung des eigenen Lebens. 

 

 
Übertrag ins Leben 

 

Die bereits angesprochene Orientierungslosigkeit kann schon fast als eine Zeiterscheinung angesehen werden. Angesichts der politischen Unruhen in Europa und besonders auch durch die Erfahrungen der Coronasituation fühlen sich viele Menschen den Ereignissen machtlos und hilflos ausgeliefert. Viele haben die Coronazeit wohl so empfunden, dass von heute auf morgen sich ihre bekannten Lebensordnungen aufgelöst haben. Hatten wir in Europa zu mindestens ansatzweise das Gefühl ein Selbstbestimmtes Leben zu führen, mussten wir plötzlich die Erfahrung machen, dass dies mitnichten so ist. Plötzlich hat Corona die Führung über unser aller Leben übernommen. Der Staat durfte bis in das Privat- und Berufsleben eingreifen. Eine Erfahrung die den meisten Menschen nur noch aus der Geschichte oder aus Nachrichten anderer Länder bekannt war. 

 

Der Kopf ist der Ort der Gedanken und der Ort der Sinnesprozesse.   

 

Das Denken sollte frei sein von Emotionen, Willenszugriffen oder Manipulationen. Gleichzeitig bedarf es einer bewussten Führung, da ohne diese Führung automatisch etwas ungewolltes sich unseres Denkens bemächtigen wird. 

Wie oft schweifen die Gedanken und die Sinne unruhig ohne Führung und ohne Ziel umher. 

Wie oft nehmen die Emotionen oder der Wille die Gedanken gefangen. 

Wie sehr hat sich die Ohnmacht, der Glaube wir können ja doch nichts tun unseres Denkens bemächtigt. 

 

Der grosse Wert des Drehsitzes liegt genau darin. Wenn Angst und Hoffnungslosigkeit uns führen und die Macht über unser Denken haben, sind wir handlungsunfähig. 

Haben wir aber den Mut einen Gedanken an den Anfang zu stellen, bewahren wir diesen auch in spannungsreichen Situationen und bringen die Mühe und den Willen auf ihn auszugestalten, dann ist es möglich diesen spezifischen Gedanken bis in eine konkrete Form und Umsetzung zu führen. 

 

Ein gutes Beispiel dafür stellt das Leben und Wirken von Mahatma Gandhi dar. Der Gedanke den er an den Anfang seines Wirkens stellte, war die Befreiung Indiens von der Herrschaft der Briten. 

Aber, und das war der große Wert den er hineinlegte, gewaltfrei musste diese Befreiung stattfinden. Gewalt mit Gewalt zu beantworten entbehrte für ihn jeglichen Sinns. 

Dies hat er über viele Widerstände und persönliche Opferbereitschaft durchgezogen und er hat sein Ziel erreicht.

Das Besondere ist, dass er dadurch zu ahimsā selbst geworden ist. Der Wert ist nicht nur Realität geworden, er ist ganz durch einen Menschen und dessen Leben zum Ausdruck gekommen. 

 

Freie Gedankenbildekraft, wache Konzentration und Formbildekraft sind die seelischen Werte dieser schönen, erhaben Yogaāsana. 

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