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​āsanas

Die weite Dehnung

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Die offene Winkelsitzhaltung (Upavishta Konasana)

 

Vergleichende Betrachtung zweier unterschiedlicher Zielsetzungen im Hinblick auf die Wirkung auf das Nervensystem, die psychische Stabilität und das Regenerationsvermögen

 

Die Ausführung und Beschreibung der Übung von Iyengar

 

Die von Iyengar demonstrierte und beschriebene Stellung zeichnet sich durch eine außerordentlich hohe Präzision, Klarheit und Perfektion aus.

Die Anleitung beschreibt sehr genau die Ausrichtung der einzelnen Körperteile:

Die Beine weit öffnen. Zehen und Knie zeigen nach oben. Oberschenkel nach unten drücken, Kniescheibe nach innen ziehen. Die Außenseite des Oberschenkels unten lassen. Zeigefinger und Daumen um den großen Zeh fassen, Mittel - und Zeigefinger an der Innenseite des großen Zehs, Daumen an der Außenseite. Die Arme von außen nach innen rollen und gerade lassen. Die Sitzhöcker nach unten drücken. Die Wirbelsäule aufrecht halten, die Rippen ausweiten. Das Zwerchfell hochziehen und diese Haltung einige Sekunden bei tiefer Atmung halten (siehe Bild 1). Nach vorne beugen und den Kopf ablegen. Den Nacken dehnen und das Kinn auf den Boden legen. Abschließend die Füße mit den Händen fassen und die Brust auf den Boden legen (siehe Bild 2)1. Weitere Hinweise sind, dass die gesamte Wirbelsäule und das Brustbein beim nach vorne gehen angehoben werden, der Rücken keinesfalls gebeugt wird. Wenn die Vorbeuge dem Übenden schwer fällt, können als Hilfsmittel eine gefaltete Decke als Kissen helfen und zwei Gürtel um die Füße gelegt werden. Der Übende kann diese mit den Händen halten, daran ziehen und dadurch leichter mit dem Oberkörper nach vorne kommen. Als weitere Hilfe kann ein Stuhl dienen, der vor dem Körper platziert wird und an der Lehne mit den Händen gefasst wird. So kann der Oberkörper leichter angehoben bleiben und der Stuhl langsam nach vorne geschoben werden, ohne dass eine Beugung des Rückens entsteht2.

Der Übende soll die Aufmerksamkeit auf die Formung des Körpers ausrichten, um störende Gedanken zu eliminieren. Das Denken soll - ebenso wie der Körper - diszipliniert werden. In der Folge kann sich der Yogi auch von physischen Unfähigkeiten und Spannungen in allen Bereichen des Körpers befreien. Iyengar legte außerordentlich großen Wert darauf, dass seine Schüler aufrichtig und engagiert praktizierten. Er forderte seine Schüler auf, die "Bewusstheit" und "Ausrichtung" in der Asana genau zu studieren. Beispielsweise soll der Übende die rechte und die linke Körperseite beobachten während er eine Asana übt, damit nicht eine Seite dominanter wird und der anderen die Energie "stielt". Iyengar lehrte, jeden Teil des Körpers mit dem inneren Auge wahrzunehmen. "Man soll überall im Körper existieren" sagte er3.

Übergeordnet besteht für Iyengar das Ziel des Übens darin, durch die Konzentration auf die richtige Ausrichtung und die dadurch entstehende Präzision einen "göttlichen Zustand" zu erreichen, in dem die Seele des Einzelnen und die universelle Seele ineinander greifen. In diesem Zustand der inneren Freiheit oder "Einheit" erlebt sich der Übende frei von den Dualitäten von Körper und Geist und Geist und Selbst4.

Iyengar beschreibt darüber hinaus verschiedene Stufen bei der Beherrschung der Asana. Nachdem sie zunächst körperlich erlernt wurde, folgt die Stufe, auf der Geist und Körper in Einklang gebracht werden. Über die 3. Stufe, dem Stadium der Perfektion, schreibt Iyengar:

 

"Sobald man das Zusammenspiel von Haut und Muskeln versteht, begreift man auch atman, das Selbst oder die Seele. Körper, Geist und Selbst werden ein einziges Ganzes. In dieser Phase wirken die Asanas meditativ und geistig. Man könnte dieses Stadium auch als "dynamische Meditation bezeichnen."

 

Als Wirkungen der Übung werden benannt, dass die Asana die Kniesehnen streckt und das Blut kräftig durch die Beckengegend fließen lässt, so dass sie gesund bleibt. Leistenbrüche werden verhindert, leichte Fälle geheilt. Ischiasschmerzen werden gelindert. Zudem wird die Menstruation kontrolliert und reguliert und die Eierstöcke angeregt6.

Iyengar spricht davon, dass grundsätzlich alle Vorbeugen die Unterleibsorgane entlasten und sich der Blutstrom im Gehirn reguliert. Das sympathische Nervensystem kann sich entspannen, Pulsschlag und Blutdruck sinken, die Sinnesorgane erholen sich. Da der Körper in eine waagerechte Lage gebracht wird, kann das Herz entlastet werden. Das Blut kann leichter durch alle Teile des Körpers zirkulieren7.

Eine besondere Errungenschaft von Iyengar ist der Gebrauch von Hilfsmitteln, der auch eingeschränkten Teilnehmern eine bestmögliche körperliche Ausführung der Übung ermöglicht. Das Ziel ist hierbei, den Körper so nahe wie möglich an die Endstellung zu führen.

Der Wert dieser Übungsweise liegt in der differenzierten Wahrnehmung des Körpers, sowie dem differenzierten Ansprechen und Formen einzelner Körperpartien. Der Übende gibt sich nicht nur einem Wohlgefühl hin, sondern möchte den Körper bestmöglich führen und ergreifen. Dadurch werden das Bewusstsein und das zentrale Nervensystem angeregt, es können neue Synapsen gebildet werden. Es ist zudem anzunehmen, dass die gezielte Aufmerksamkeit und Anregung in der Folge der Tätigkeit eine Beruhigung im vegetativen Nervensystem bewirkt.

 

Die Ausführung und Beschreibung von Heinz Grill

 

Heinz Grill betont in seiner Ausführung und Beschreibung der Übung insbesondere die Koordination zwischen dem Oberkörper und den Beinen.

Die Beine sind geöffnet und gleiten weit auseinander. Der Oberkörper bleibt entspannt, die Beine in der Dynamik der Streckung und der untere Rücken im Lendenbereich soll sich kontrahieren. Die Beine sollen in Richtung des Beckens und Kreuzbeines herangezogen werden, um die zusammenziehende Dynamik im Bereich des Kreuzbeines zu intensivieren. Es wird beschrieben, dass die Beine aus sich selbst heraus die Dynamik und Bewegungsform bestimmen. Gleichzeitig wird der Oberkörper zunächst angehoben, bevor er durch den Einsatz der Beine und die Rückkontraktion im Kreuzbein frei nach vorne herausgleitet. Der Oberkörper bewegt sich dadurch indirekt und wird keinesfalls vorschnell nach unten gedrückt. Die Vorstellung kann durch die Analogie des Wassers erweitert und konkretisiert werden: eine Bewegung der Zusammenziehung, die über die Mitte hinaus weiter nach innen fließt und sich sammelt bei gleichzeitiger ausgleitender und ausfließender Dynamik. Die Beine werden dafür der freien Bewegung überlassen. Der Übende erlebt sich "geschlossen und als ein Ganzes"8.

Das Ergebnis ist die Empfindung einer verbindenden Bewegung und einer Bodennähe, sowie damit einhergehend einer Ruhe.

Der Übende wird auf diese feiner fließenden Kräfte aufmerksam und gewinnt eine erste Vorstellung und Empfindung dazu. Im folgenden Zitat wird darüber hinaus bildhaft beschrieben, wie es neben der verinnerlichenden Bewegung auch eine erbauende Wirkung auf das Denken gibt:

 

"Indem sich der Äther nicht in der Äußerlichkeit von Willenshandlungen verliert, sondern sich nach innen sammelt, entwickelt sich ein Bewusstsein der Ruhe und Innerlichkeit und gleichzeitig gewinnt das Beobachtungsvermögen durch den Gedanken eine größere Wachheit und Dynamik."

 

Heinz Grill betont als einen wesentlichen Wert des Übens insbesondere den Aspekt der Empfindungsbildung. Der Übende kreiert sie mit Hilfe der beschriebenen Vorstellung, die er eigenständig ergründet und auf ihren Wahrheitsgehalt (und "Passung" zur Übung) prüfen kann. Die Vorstellung ist auf eine neue, bislang unbekannte Gesetzmäßigkeit der feiner fließenden Kräfte im Körper bezogen. Den Einsatz, den der Übende leisten muss, um diese Vorstellung zu denken und in der Aufmerksamkeit zu bewahren, ist daher ein noch höherer als wenn er sich dem bereits Vertrauten, Körperlichen alleine hinwenden würde. Dadurch wird das zentrale Nervensystem auf noch intensivere Weise gestärkt und das vegetative Nervensystem nachhaltig beruhigt.

Interessant ist auch, wie sich durch diese Herangehensweise das Verhältnis zum Körper verändert. Indem sich der Übende gedanklich der innewohnenden, zu entdeckenden Gesetzmäßigkeit hinwendet, kann er den Körper zunächst ganz in Ruhe lassen ohne ihn vorschnell willentlich zu ergreifen. Wenn er ihn dann formt geschieht die Bewegung gelöster und es können regenerative Kräfte gebildet werden und einwirken.

Der interessierte Übende kann sich außerdem weiterführende Fragen stellen, die auf den Übertrag der ergründeten Gesetzmäßigkeit auf das Leben bezogen sind. Er kann sich fragen, wann es im Leben förderlich und sinnvoll ist, die Kräfte so zu koordinieren, dass man sich nicht in der Äußerlichkeit einer Willenshandlung verliert, sondern die Kräfte zunächst nach innen sammelt um aus dem Bewusstsein der Ruhe und Innerlichkeit auf ganz natürliche Weise eine Bewegung bzw. einen nächsten Schritt zu erzeugen.

Die innere Regsamkeit bzw. das eigenständig errichtete Bewusstsein wirken ganz grundsätzlich stabilisierend auf die Psyche. Durch die konkrete Anregung prägt der Übende einen Sinn dafür aus, welche Gedanken,Vorstellungen und Gefühle erbauend und "entwicklungsfördernd" wirken. In der Folge kann der Übende leichter Ängste und Sorgen zurücklassen, da er sie als etwas Relatives erkennt. Auch dadurch wird indirekt eine vegetative Dystonie ausgeglichen, bzw. das vegetative Nervensystem beruhigt.

Ein weiterer Wert dieser Übungsweise liegt somit darin, dass der Mensch durch dieses eigenständige Erforschen nachhaltig in seiner Selbstkraft und in seinem Ehrgefühl gestärkt wird. Er gewinnt auf ganz natürliche Weise ein Vertrauen in die eigene Fähigkeit, selbst Antworten auf weitreichende "Forschungsfragen" zu finden.

Auch Heinz Grill beschreibt als ein ganz grundsätzliches Ziel des Übens die Suche nach mehr Verbindung und "Einheit". Der Weg dorthin ist jedoch über das bildende Denken und Vorstellen, aus dem eine neue Empfindung geschaffen werden kann. Diese steht im Zusammenhang mit dem Leben und könnte darüber hinaus als "universal" benannt werden. Deshalb erlebt der Übende eine wachsende Beziehung. Er wird offener und wacher nach außen, weil er den ergründeten Zusammenhang im Leben und der Begegnung entdecken kann. Gleichzeitig kann er durch das eigene Interesse und die eigene Zielsetzung ein Zentrum im Inneren finden. Die "Selbstfindung" wäre dann das Ergebnis des beschriebenen Prozesses.

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