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        Philosophie

Der Ausdruck in der Übung (die Ästhetik) und ihr Übertrag in das Leben

Es ist eine interessante Frage, wodurch die Ästhetik einer Yogaübung entsteht.
Der Begriff leitet sich von altgriechisch "Wahrnehmung", "Empfindung" ab. Bis zum 19. Jahrhundert verstand man insbesondere die Lehre der Schönheit und der Harmonie in Kunst und Natur darunter.


Wenn man den Begriff wörtlicher nimmt, wäre es aber eigentlich die Lehre von der Wahrnehmung bzw. dem sinnlichen Anschauen und somit nicht nur auf das "Schöne" beschränkt. Es scheint die Frage darin enthalten zu sein, wie der Mensch sich in seiner Wahrnehmung schulen kann und damit wirklich erkennen kann, was in einem Phänomen des Lebens zum Ausdruck kommt.


Ich würde es so formulieren, dass die Ästhetik dann entsteht, wenn sich eine höhere Gesetzmäßigkeit ausdrückt, so wie es in der Kunst im Beispiel des goldenen Schnittes sichtbar ist. Auch in der Pflanze drückt sich eine genau bemessene Logik aus, z.B. in der Art wie die Blätter angeordnet sind und welche Formen die Blattstrukturen bilden.

Goethe beschrieb die Kunst als "Bild des Lebens" und als "geistig-sinnliche" Methode der Aneignung der Wirklichkeit. Es solle in einem Kunstwerk alles sowohl für die Sinne als auch den Geist nährend, bildend und erhebend sein. Er sagte auch, dass die Kunst Kraft und Mut geben solle, um die Kämpfe des Lebens zu bestehen und damit in meinen Worten: mit dem Leben in Beziehung stehen sollte.

Dies ist nun auch auf die Yoga-Stellung bezogen ein sehr interessanter Aspekt, den es sich lohnt, genauer zu betrachten: Was drückt sich in der Yoga-Stellung aus und was hat das mit dem Leben zu tun?

Im Yoga ist die Körperhaltung immer das Ergebnis eines vorausgehenden Prozesses. Wer sich in seiner Wahrnehmung schult wird bemerken, ob eine Stellung rein aus dem körperlichen Vermögen entwickelt ist oder ob das Bewusstsein anhand einer konkreten Vorstellung am Körper formend tätig ist. Im letztgenannten Fall wird die Asana sympathischer wirken und das Interesse des Betrachters anregen. Vielleicht wird er zunächst unbewusst erahnen, dass über den Körper etwas tiefer gehendes zum Ausdruck kommt.

Die Art der Vorstellung, die der Übende in die Formung hinein legt kann unterschiedlich sein. Wird die Ausformung einer Stellung erlernt, ist zunächst wichtig, sich ein Bild darüber anzueignen, wie sich der Körper "gliedert". Welche Teile sollen gelöst bleiben? Wo ist das Zentrum der Anspannung? Welche Bereiche sollten eine stabile Basis bilden? Nach längerer Beschäftigung mit einer Stellung wird der Übende bemerken, dass sich diese Art der Gliederung aus einer innewohnenden Weisheit und Gesetzmäßigkeit ergibt, die nicht nur auf den Körper bezogen ist.

Die Gesetzmäßigkeit wird unterschiedlich sein, je nachdem welche Rückenabschnitt und damit welches "Energiezentrum" (Chakra), in der Übung schwerpunktmäßig angesprochen wird.

Nehmen wir zwei Beispiele, um dies zu verdeutlichen.

 

3. Zentrum: das gedrehte Dreieck (die Weite)

In der Stellung ist in der körperlichen Ausführung zunächst auf den stabilen Stand zu achten. Die Beine bilden ein gleichseitiges Dreieck, ein Hohlkreuz sollte vermieden werden. Es gibt ein Zentrum, um das man dreht und in dem man den Halt sowie eine "Dynamik" im Sinne einer Aktivität bewahrt. Die Arme sind zunächst auf Schulterhöhe ausgebreitet, die Handfläche nach unten ausgerichtet. Es sollte von Anfang an darauf geachtet werden, dass der Brustkorb angehoben wird. Dafür kann es hilfreich sein, zwischendurch die Arme nach oben zu nehmen. Beim Hineingehen in die Drehung sollte es nicht zu einer Beugung des Rückens kommen. Der Übende kann beispielsweise in der Horizontalen, wenn er zunächst nach vorne geht, den Brustkorb erneut anheben. In der Endstellung ist ein Arm bodenwärts gerichtet, der andere "himmelwärts". Der Blick folgt dem oberen Arm und ist diesem folgend in den weiten, offenen Raum gerichtet. Der Atem sollte frei bleiben. Die Bewegung kann so leicht und spielerisch erfolgen, der Körper wird dennoch präzise geformt. Für das Erleben einer Weite in der Stellung, bleibt die Aufmerksamkeit eher im Außen orientiert und ist nicht auf den Körper fixiert. Der Ankerpunkt im Rücken bleibt dennoch gleichzeitig im Erleben. Der Übende kann in der Endstellung neben dem "Ausgespanntsein" zwischen oben und unten bemerken, wie er insbesondere nach oben - durch einen Impuls aus dem Zentrum im mittleren Rücken - immer weiter wachsen kann. Das Erleben der Weite wird damit verstärkt.

Welche Gesetzmäßigkeit drückt sich hierin aus? Was ist der Übertrag in das Leben?
Es ist eine interessante Frage, wann die Handlung eines Menschen "in der Weite beginnt" und "in die Weite führt". Was aus einer Handlung erwächst, wird davon abhängen, was der Mensch für ein Motiv hineinlegt. Es gibt eigennützige Motive, bei denen das Gegenüber unter Umständen sogar manipuliert wird und das Ziel darin liegt, den anderen für die eigenen Bedürfnisse zu gebrauchen. Ein "edleres" Motiv könnte sein, den anderen wirklich wahrnehmen zu wollen, ihm mit einer Offenheit zu begegnen, die erst aus einer Aktivität des Bewusstseins erwächst. Hier steht das Motiv im Zusammenhang mit dem anderen und in der Begegnung wird ein Raum für beide Beteiligten entstehen. In einer aufrichtigen Begegnung kann darüber hinaus beiden Beteiligten etwas "zufließen", sie werden etwas über die alten Gewohnheiten hinausgehendes entwickeln. In diesem Sinne wäre der Aspekt der wachsenden Weite zu verstehen.

 

2. Zentrum: die fließende und verbindende Bewegung in der weiten Dehnung

 

In der Stellung der weiten Dehnung ist insbesondere die Koordination zwischen Beinen und Oberkörper betont. Die Beine sind geöffnet und gleiten weit auseinander. Der Oberkörper bleibt entspannt, die Beine in der Dynamik der Streckung und der untere Rücken im Lendenbereich soll sich kontrahieren. Die Beine sollen in Richtung des Beckens und Kreuzbeines herangezogen werden, um die zusammenziehende Dynamik im Bereich des Kreuzbeines zu intensivieren. Es wird beschrieben, dass die Beine aus sich selbst heraus die Dynamik und Bewegungsform bestimmen. Gleichzeitig wird der Oberkörper zunächst angehoben, bevor er durch den Einsatz der Beine und die Rückkontraktion im Kreuzbein frei nach vorne herausgleitet. Der Oberkörper bewegt sich dadurch indirekt und wird keinesfalls vorschnell nach unten gedrückt. Die Vorstellung kann durch die Analogie des Wassers erweitert und konkretisiert werden: eine Bewegung der Zusammenziehung, die über die Mitte hinaus weiter nach innen fließt und sich sammelt bei gleichzeitiger ausgleitender und ausfließender Dynamik. Die Beine werden dafür der freien Bewegung überlassen. Der Übende erlebt sich "geschlossen und als ein Ganzes".
Das Ergebnis ist die Empfindung einer verbindenden Bewegung und einer Bodennähe, sowie damit einhergehend einer Ruhe. Der Übende wird auf diese feiner fließenden Kräfte aufmerksam und gewinnt eine erste Vorstellung und Empfindung dazu.

Ein besonderer Wert der so entwickelten Übungspraxis liegt in der Empfindungsbildung. Der Übende kreiert sie mit Hilfe der beschriebenen Vorstellung, die er eigenständig ergründet und auf ihren Wahrheitsgehalt (und "Passung" zur Übung) prüfen kann. Die Vorstellung ist auf eine neue, bislang unbekannte Gesetzmäßigkeit der feiner fließenden Kräfte im Körper bezogen.

Interessant ist auch, wie sich durch diese Herangehensweise das Verhältnis zum Körper verändert. Indem sich der Übende gedanklich der innewohnenden, zu entdeckenden Gesetzmäßigkeit hinwendet, kann er den Körper zunächst ganz in Ruhe lassen ohne ihn vorschnell willentlich zu

ergreifen. Wenn er ihn dann formt geschieht die Bewegung gelöster und es können regenerative Kräfte gebildet werden und einwirken.
Darüber hinaus kann der interessierte Übende sich weiterführende Fragen stellen, die auf den Übertrag der ergründeten Gesetzmäßigkeit auf das Leben bezogen sind. Er kann sich fragen, wann es im Leben förderlich und sinnvoll ist, die Kräfte so zu koordinieren, dass man sich nicht in der Äußerlichkeit einer Willenshandlung verliert, sondern die Kräfte zunächst nach innen sammelt um aus dem Bewusstsein der Ruhe und Innerlichkeit auf ganz natürliche Weise eine Bewegung bzw. einen nächsten Schritt zu erzeugen.

Es wird deutlich, dass sich die Gesetzmäßigkeit in der Übung über den Körper ausdrücken lässt, aber ebenso im Leben zu finden ist. So wäre die Übung auch als "Anregung" zu sehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man die Eigenschaft einfach entwickelt wenn man die Übung ausführt oder dass man ein Energiezentrum "auflädt" wenn man praktiziert. Ich würde es eher so beschreiben, dass man über die Übung die Möglichkeit hat, die Gesetzmäßigkeit zu studieren und mit der Beschäftigung nach und nach die Fähigkeit ausbilden wird, diese auch im Leben zu entwickeln. In der - durchaus auch gedanklichen Auseinandersetzung -. kann man selbst prüfen, ob man das enthaltene Ideal als erstrebenswert erachtet. Falls man dies bejaht, wird man auf natürliche Weise das Bedürfnis haben, dieses auch wirklich zu entwickeln und authentisch auszudrücken.

So wie wir der Yogaübung Ausdruck und Ästhetik verleihen, so können wir dies ebenfalls in unseren alltäglichen Handlungen anwenden und jede Situation des Lebens mit Hilfe unserer Ideen und Vorstellungen anheben und veredeln. Wir können in diesem Prozess sogar dem Leben wirklich Neues hinzufügen.

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