Philosophie
Die gegenständliche Meditation
Es gibt viele Formen der Meditation mit unterschiedlichen Zielsetzungen und gesundheitlichen Wirkungen. Oftmals wird ein Zustand der Gedankenruhe oder Leere angestrebt.
In einer gegenständlichen Meditation hingegen tritt der Übende mit einem Objekt der Betrachtung in Beziehung. Es wird die Aufmerksamkeit auf einen Gedankeninhalt gerichtet, der außerhalb des eigenen Problemkreislaufes liegt. Dieser kann beispielsweise aus einer inspirativen Schrift des Yoga entnommen werden. Die gesunde Anforderung besteht nun darin, das Bewusstsein immer wieder zu diesem konkreten Inhalt hin auszurichten. Der Gedanke wird eigenständig erschaffen, damit er als Gegenüber besteht. Ablenkungen und aufsteigende subjektive Gefühle sowie Projektionen müssen immer wieder neu zurückgewiesen werden. Gewissermaßen braucht es vom Übenden beständig eine Entscheidung, sich zu dieser Ordnung im Bewusstsein zu erziehen und den gewählten Gedanken für ein Zeitmaß von fünf bis fünfzehn Minuten zu bewahren. Gerade durch diese gedankliche Aktivität wird das Aufrichten gefördert. Dieses kann wie eine feine Kraft, die die Wirbelsäule leicht aufsteigen lässt, empfunden werden.
Ein Beispiel anhand der Yoga-Asana „Kopf-Knie-Stellung“ (paścimottānāsana)
1. Schritt: betrachten Sie das Bild und versuchen Sie die Form des Körpers genau zu beschreiben. Bleiben Sie bei dem, was Sie tatsächlich sehen.
Schließen Sie im Anschluss für circa 30 Sekunden die Augen und rekonstruieren Sie möglichst realitätsgetreu das Vorstellungsbild der Yogaübung.
2. Schritt: Betrachten Sie das Foto erneut mit der Frage: wie ist der Körper gegliedert? Welche Regionen sind entspannt, wo ist der dynamische Bewegungsansatz?
Schließen Sie erneut die Augen und rekonstruieren Sie vor dem inneren Auge dieses Bild.
3. Schritt: nehmen Sie einen Satz zu der Yoga-Asana aus einer inspirativen Schrift hinzu. Geeignet wäre beispielsweise die folgende Aussage von Heinz Grill:
„Die Stellung ist mit Arbeit, Einsatz und Ausdauer verbunden. Das Empfinden, tief in die Erde, in das Leben, in die Realitäten mit der eigenen Schöpferkraft einzudringen, ist das Sinnbild dieser Übung.“
(Die Seelendimension des Yoga, S.156)
Bleiben Sie für den zuvor festgelegten Zeitraum mit der Aufmerksamkeit bei der wortgetreuen Aussage. Erschaffen Sie den Gedankeninhalt lebendig immer wieder neu, so dass dieser sich als Gegenüber erleben und betrachten lässt.
Mit der Zeit und Wiederholung wird sich dadurch eine Empfindung ausprägen und der Sinngehalt der Asana weiter erschließen.
Das Ergebnis wird immer eine intensivere und zugleich freie Beziehung zum Gegenstand der Meditation sein. Wir gehen nicht nur von dem aus, was wir bereits an Ideen, Vorstellungen und Gefühlen in uns tragen.
Vielmehr schauen wir unbedarft nach außen und bemerken, welche neuen Empfindungen aus der länger andauernden Betrachtung entstehen. Alte, unbrauchbare Gefühle können mit der Zeit immer weiter zurückweichen und durch logisch im Zusammenhang stehende Gefühlsformen ersetzt werden.
Wesentlich ist darüber hinaus, dass sich auf diesem Wege der Bedeutungsgehalt der Aussage mit Hilfe der eigenen Bewusstseinstätigkeit ergründen und prüfen lässt. Es wird sich ein deutliches Gefühl einstellen, ob der Inhalt wahr ist und mit der Übung sowie dem sozialen Leben in einem logischen Zusammenhang steht.
Der Mensch erfährt sich unmittelbar in seiner eigenen Urteilsfähigkeit. Diese weiter zu entwickeln und anzuwenden stellt eine wesentliche Grundlage für die Gesundheit dar. Es können auf diese Weise die aufgenommenen Eindrücke des Tages sowie suggestive Wirkungen wirklich bewusst wahrgenommen, geprüft und anschließend verarbeitet werden. Das Nervensystem und in der Folge auch der Stoffwechsel erfahren dadurch eine erhebliche Entlastung. Es tritt eine beruhigende Wirkung auf das autonome Nervensystem ein, da es durch weniger ungefilterte Eindrücke in eine Dysbalance (vegetative Dystonie1) gebracht wird. Das zentrale Nervensystem wird durch die wiederholte Auseinandersetzung mit dem neuen Inhalt gestärkt. Es werden neue Synapsen ausgebildet.
Die innere Ruhe ist das Ergebnis der gedanklich klar ausgerichteten Aktivität. Logisch in Zusammenhang stehende Gedanken und Gefühle wirken stärkend auf das Herz. Alle durcheinander gewirbelten intellektuellen Eindrücke, emotionalen Ausflüchte und begehrlichen Impulse, die nicht verarbeitet werden, erzeugen hingegen eine Unruhe und schwächen das Organ.
1 Der erregende Teil des autonomen Nervensystems (Sympatikus) und der für Erholung und Ruhe sorgende Teil (Parasympatikus) arbeiten nicht mehr auf eine harmonische, günstige Weise zusammen